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2015

Evelyn Steiner

Filmbau: Anzahl Zeichen

Interview für S AM - Basel in der Ausstellung: Filmbau - Schweizer Architektur im bewegten Bild

Evelyn Steiner: Du hast dich vom politisierten Jungfilmer zum etablierten Regisseur entwickelt, in deiner Filmografie finden sich dementsprechend sowohl Dokumentarfilme über alternative Jugendkulturen als auch Spielfilme für ein breiteres Publikum. Im dokumentarischen Teil deines Oeuvres hast du dich zunehmend zum Spezialisten für die filmische Umsetzung architektonischer und urbanistischer Themen entwickelt. Wie kamst du zur Architektur? 

Christoph Schaub: Der befreundeter Architekt und mein ehemaliger Mitbewohner Marcel Meili ist eines Tages von einer Reise durch den Norden Italiens nach Hause zurückgekehrt und hat mir von dem Haus Girasole in der Nähe von Verona erzählt. Er war so begeistert von dem Gebäude, dass er fand, ich müsse unbedingt einen Film darüber machen. Ich meinte, dass ich doch nicht plötzlich einen Film über ein Haus machen könne, da ich von Architektur gar nichts verstehen würde. Nach einer langen Diskussion haben wir dann entschieden, den Film zusammen zu realisieren. Von den zwei Disziplinen Architektur und Film her kommend, haben wir uns wunderbar ergänzt, und ich habe sehr viel über Architektur gelernt. Der so in Zusammenarbeit entstandene Film ‹Il Girasole -– una casa vicino a Verona› (1995) gab den Ausschlag, mich anschliessend weiter mit Architektur zu beschäftigen, denn es ist in der Tat eine sehr interessante Herausforderung für einen Filmemacher, sich mit Räumen auseinander zu setzen. 

Evelyn Steiner: Du hast neben deinen Architekturfilmen auch zahlreiche andere Dokumentarfilme realisiert. Was sind genau die Schwierigkeiten, wenn anstelle von Menschen immobile Gebäude im Vordergrund stehen? 

Christoph Schaub: Wenn man über Architektur Filme macht, ist immer auch der Architekt oder der Nutzer des Gebäudes involviert. Ganz menschenfrei ist die Architektur nicht. Aber natürlich ist ein Haus sehr geduldig, und der Dialog mit dem Gebäude gestaltet sich erstmals sehr einseitig. Das hat Vor- und Nachteile. Man kann nicht mit dem Haus reden, aber man kann warten, bis z.B. die Lichtverhältnisse stimmen. Man setzt sich mit dem Gebäude auseinander und lernt das Gebäude von allen Seiten kennen - von innen und von aussen – es ergeben sich immer neue Geschichten. Irgendwann redet in einem gewissen Sinn das Haus auch mit dir. Es ist eine sehr kontemplative Aufgabe, die dich stark auf dich selber zurückführen kann. 

Evelyn Steiner: Marcel Meili äusserte sich in einem Porträtfilm innerhalb der Reihe ‹CINEMAsuisse›, einer Fernsehreihe des SRFs, über das Verhältnis von Architektur und Film und fügt an, dass man Architektur gar nicht filmen könne. Stimmst du mit dieser Äusserung überein? 

Christoph Schaub: Es ist richtig, dass man Architektur nicht realitätsgenau abbilden kann. Aber man kann eine filmische Interpretation eines Raums oder eines Gebäudes liefern. Man muss eine Übersetzungsarbeit vornehmen, und das ist eigentlich die Arbeit, die ich mache, wenn ich Architekturfilme drehe. Man muss einen persönlichen, einen visuellen sowie einen emotionalen Zugang finden und dies mit filmischen Mitteln zum Ausdruck bringen. Die direkte Umsetzung funktioniert schon darum nicht, da der Film nur als zweidimensionale Abbildung von Räumen funktionieren kann, also anders als die menschliche Wahrnehmung. Die menschliche Rezeption von Räumen kann man nicht einfach filmisch nachahmen. 

Evelyn Steiner: Wie wichtig ist denn die Fiktion; im Film ‹Il Girasole - una casa vicino a Verona› habt ihr beispielsweise zwei Schauspieler engagiert. Mittels dieser fiktiven Figuren wird schemenhaft die Geschichte eines Paares erzählt. 

Christoph Schaub: Bei ‹Girasole› war die Idee, das Haus anhand zwei fiktiver Figuren und einer inneren Stimme auch als „Erinnerungsraum“, d.h. als Resonanzkörper von Geschichte darzustellen. Das ist eine eigene Herangehensweise, um die Historie des Gebäudes zu erzählen und nicht nur die Architektur. Eine weitere Absicht war, mit Hilfe dieser Figuren architektonische und räumliche Aspekte zu vermitteln, wie etwa Proportionen, Tiefe oder die Richtung der Räume. Nur über die Proportion des Menschen kann man die Proportionen von Räumen filmisch einigermassen realitätsnah darstellen. Die Dramaturgie der im Film erzählten räumlichen Abläufe entspricht nicht der realen räumlichen Dramaturgie des Hauses, wenn man als Benutzer selbst die Räume durchmessen würde. Das war nicht unser Anspruch. 

Evelyn Steiner: Es fällt auf, dass du in deinen Filmen einen statischen Umgang mit der Kamera pflegst, was einen objektiven Blick andeutet. Eine abtastende, den Raum abschreitende Kamera evoziert eher eine subjektive Perspektive, indem eine Begehung simuliert wird. Warum wählst du einen statischen, neutralen Blick, in Anleihe an die Architekturfotografie? 

Christoph Schaub: Das hat damit zu tun, dass die filmische Darstellung von dreidimensionalen Räumen, also eigentlich die zweidimensionale Darstellung von dreidimensionalen Räumen, sehr unvollständig ist. Es ist ein falscher Ansatz, wenn man mit der Kamera das Gebäude durchschreitet und so tut, als würde man als Besucher oder Bewohner durch den Raum gehen. Ich als Nutzer weiss immer, was hinter mir und was neben mir ist. Die Kamera, also auch später der Betrachter des Films, sehen hingegen nur das, was sich im Bildausschnitt befindet. Darum ist eine solche subjektive Wahrnehmung eines Menschen, den man nicht kennt, sondern der einfach der Kameramann ist, uninteressant, um einen Zugang und eine Beziehung zu einer Architektur aufzubauen. Wenn man eine Bewegung mit der Kamera ausübt, zum Beispiel einen horizontalen Schwenk von links nach rechts macht, muss es einen Beweggrund geben. Der Schwenk kann zum Beispiel der Bewegung einer Figur entsprechen, die einen neuen Raum entdeckt, oder einen neuen Raum eröffnet. Sonst ist die Kamerabewegung nicht gerechtfertigt, sie erfolgt einfach der Bewegung zuliebe und sagt nichts über die Architektur aus, sondern nur über den Menschen, der die Kamerabewegung ausübt. 

Evelyn Steiner: Es fällt auf, dass vor allem Amateurfilmer diese Art filmische Begehung mit der Handykamera vollziehen und bei professionellen Filmemachern der statische Blick im Vordergrund steht. Dies ist interessant, weil durch den statischen Blick vieles wahrgenommen wird, das nebensächlich erscheint, wie der Regen oder der Wind. Das sind Dinge, die in der realen Architekturwahrnehmung sehr wichtig sind, man nimmt ja nicht nur den Raum wahr, sondern auch Geräusche und Töne. Wie wichtig ist für dich der Originalton, der akustische Raum der Architektur beim Filmen? 

Christoph Schaub: Der Ton ist natürlich wichtig, weil er die dritte Dimension und einen Eindruck über die Grösse sowie die Tiefe des Raums vermittelt. Das gilt auch für das Licht. Die Tongestaltung ist ein sehr wichtiges Instrument, auch um eine Stimmung und eine emotionale Umsetzung der Architektur zu erzeugen. 

Evelyn Steiner: Die Kombination von bewegten Bildern der Gebäude und gefilmten Gesprächen mit Architekten ist ein wiederkehrendes Element deiner Filme, du visualisierst gewissermassen, was die Autoren und Autorinnen erklären. Welche Bedeutung hat der Kommentar generell bei der dokumentarischen Erfassung von Architektur? 

Christoph Schaub: Es ist banal: Interviews sind interessant, wenn die Menschen interessant sind, mit denen man die Interviews macht. Es ist spannend zu erfahren, warum ein Architekt eine gewisse Entscheidung getroffen hat, was seine Gedanken sind. Ich glaube, der Kommentar ist ein Instrument, das man dem Zuschauer gibt, um die Architektur zu verstehen. Es ist schon sehr aufregend, wenn man durch eine Erklärungen plötzlich zum Beispiel die Statik eines Hauses oder einer Brücke versteht, respektive erkennt. Dadurch gibt es plötzlich auch viel mehr zu sehen und man hat etwas gelernt. 

Evelyn Steiner: Im Feld des Architekturfilms finden sich in deinem Oeuvre sehr unterschiedliche Filme, von filmischen Annäherungen an einzelne Gebäude wie beim Film ‹Girasole› bis zu Dokumentationen längerer Prozesse wie bei ‹Bird’s Nest - Herzog & de Meuron in China› (2008), der vier Jahre dauernden filmischen Dokumentation des Bauprozesses des Nationalstadions in Peking. Inwiefern unterscheiden sich die Vorbereitungen für die Filme, wenn anstelle eines einzelnen Gebäudes ein so komplexes Projekt wie das Bird’s Nest dokumentiert werden soll? 

Christoph Schaub: Natürlich ist es viel komplexer, in China zu drehen, als in der Schweiz, nur schon von der Organisation und der Sprache her. Es müssen viel mehr Vorbereitungen getroffen werden, aber sobald es wirklich um das Filmen selbst geht, gleichen sich die Abläufe. Eigentlich geht es immer darum, eine eigene Position zu finden und dann entsprechend zu inszenieren. Man kann ein Haus, einen normalen Menschen oder eben auch einen Schauspieler inszenieren. Ich finde das liegt alles sehr nahe beieinander. Als Regisseur von Dokumentarfilmen muss man ja nicht die Realität abbilden, sondern sie formen und interpretieren. Es geschieht in einem gewissen Sinn eine Fiktionalisierung der Realität. Nur so wird es spannend. 

Christoph Schaub: Anfänglich wollte ich aus Eigeninitiative einen Film über das Gebäude drehen und habe einen Brief an Herzog & de Meuron geschrieben. Diese haben mir geantwortet, es würde bereits jemand einen Film machen. Tatsächlich wollte Michael Schindhelm, zu dieser Zeit Direktor des Basler Theaters und mit Jacques und Pierre befreundet, einen Film über das Stadion realisieren. Er verfügte aber über nur wenig filmische Erfahrung. Deswegen wurde ich beigezogen, was mich natürlich sehr gefreut und interessiert hat. Wir haben dann den Film zusammen realisiert. Die Zusammenarbeit weist Parallelen auf zur Kooperation mit Marcel Meili auf, da Michael Schindhelm auch von einer ganz anderen Seite kam. Als ehemaliger DDR-Bürger und Student in der Sowjetunion konnte er sehr viel zum besseren Verständnis der chinesischen Realität beitragen. Zudem kannte er die Architekten persönlich. 

Evelyn Steiner: Interessant ist, dass die Architektur im ‹Bird’s Nest› im Hintergrund bleibt, der Film fokussiert primär auf die verschiedenen Protagonisten und dokumentiert dadurch das Gebäude aber umso vielschichtiger. Wie wichtig ist die Vermittlung eines Bauwerks über die Nutzer und die am Bau beteiligten Protagonisten? 

Christoph Schaub: Ich fand den kulturellen Austausch zwischen der Schweiz und China bei der Entstehung des Gebäudes sehr spannend und wegweisend. Klar ist das Bauwerk selbst auch sehr interessant: So ist es von der Form und von der Statik her aussergewöhnlich. Ich finde es ein hervorragendes Bauwerk und ein aussergewöhnliches Stadion. Dies zu vermitteln hat sich der Film auch zur Aufgabe gemacht. Aber darüber hinaus sind es vor allem urbanistische Themen, die im Mittelpunkt stehen, wie zum Beispiel ein Projekt zu einer Stadtteilentwicklung von Herzog & de Meuron in der Provinzstadt Jinhua. Der Film hat den Anspruch, sich mit der chinesischen Kultur, dem kulturellen Austausch sowie mit der konzeptionellen und kontextuellen Architektur von Herzog & de Meuron auseinander zu setzen. Ich konnte in diesem Film ein breites Interesse entwickeln. In meinen früheren Architekturfilmen standen primär die einzelnen Architekten oder Bauwerke im Zentrum. 

Evelyn Steiner: Bei der filmischen Darstellung von Architektur scheint es Konventionen, bewährte Darstellungstopoi und –strategien zu geben, beispielsweise wird die Vogelperspektive, die man aus anderen Medien 

Evelyn Steiner: Kannst du uns kurz etwas zur Entstehungsgeschichte von ‹Bird’s Nest – Herzog & de Meuron in China› erzählen? Der Film ist nicht nur ein vielschichtiges Porträt des Gebäudes, sondern vor allem auch der beteiligten Akteure. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron? wie Modellen kennt, auch im Film angewendet. Oftmals kommt zudem ein Zeitraffereffekt vor, um den Bauprozess wiederzugeben oder das Spiel von Schatten und Licht zu vermitteln, und Hochhäuser werden meist mit vertikalen Kamerafahrten dokumentiert. Wie gehst du mit solchen Konventionen um, versuchst du diese anzuwenden oder manchmal auch gezielt zu unterwandern? 

Christoph Schaub: Das sind Darstellungsweisen, die man in meinen Filmen nicht so oft vorfindet. Vielleicht verwende ich einmal einen Schatten, der ein bisschen schneller wandert als in der Realität, aber kaum merklich. Eine Helikopteraufnahme ist immer sehr effektartig. Ich bin eher ein Purist und finde, dass der Effekt oder die Sensation vom Gebäude selbst her kommen muss. Daher habe ich immer auf sensationelle Aufnahmen wie Zeitraffer oder eben auch Helikopterflüge über Gebäude oder Stadtteile verzichtet. 

Evelyn Steiner: Wie verhältst du dich gegenüber Nahaufnahmen? 

Christoph Schaub: Nahaufnahmen findet man oft in meinen Filmen. Ich finde, dass diese ein interessantes Mittel sind, um Architektur zu übersetzen. Mittels Nahaufnahmen kann man Details, Materialien oder auch z.Bsp. Handgriffe, die auf den ersten Blick nicht so augenfällig sind, zeigen. Das Haus als Ganzes, seine Geometrie oder sein Entwurf, wird eher durch die Totale wiedergegeben, die Materialisierung hingegen eher durch die Nahaufnahmen. 

Evelyn Steiner: Was sind generell die Potenziale des Mediums Film, um Architektur wiederzugeben? 

Christoph Schaub: Film besitzt ein grosses Potenzial, die Architektur zu interpretieren, aber man kann sie nicht wiedergeben. Etwas, was man zum Beispiel fast nie erleben kann, was aber der Film ermöglicht, ist ein Gebäude oder eine Brücke in verschiedenen Lichtzuständen und Jahreszeiten zu erfahren. Ein Haus sieht im Sommer ganz anders aus als im Winter, aber es liegt so viel Zeit dazwischen, dass einem das gar nicht bewusst wird. Mit dem Schnitt, mit der zeitlichen Ellipse im Film, kann man den Unterschied ganz physisch machen und zeigen, wie ein Haus im Sommer, im Winter, im Herbst, bei Sonnenschein, bei Regen oder bei Nacht aussieht. Das finde ich immer ein sehr tolles Erlebnis, da es überhaupt nicht dem Zeitempfinden entspricht, das man normalerweise hat. 

Evelyn Steiner: Wo sind denn die Grenzen des Mediums? 

Christoph Schaub: Man kommt mit dem Film an Grenzen, wenn man Architektur wirklich geometrisch verstehen will. Es ist auch schwierig, die wirklichen Proportionen wiederzugeben; man kann diese nur über Figuren oder Gegenstände, die eine absolute Grösse haben, andeuten. Man erkennt erst, dass es sich beispielsweise um eine aussergewöhnlich hohe Türe handelt, wenn ein Mensch darin steht. Es ist zudem auch unmöglich, einen Grundriss oder einen Schnitt so filmisch wiederzugeben. 

Evelyn Steiner: Ist das der Grund, warum der Film trotz immer einfacher werdenden und leichter zugänglicher Aufnahmetechniken wie Handykameras, Schnittprogrammen sowie Plattformen der Verbreitung immer noch eine sehr marginale Rolle als Repräsentationsmedium und Analyseinstrument von Architektur spielt? 

Christoph Schaub: In jeder filmischen? Darstellung, das gilt auch für Renderings, liegt immer auch eine Täuschung und da scheuen sich die Architekten zu Recht davor. Peter Zumthor hat mich angefragt, für den Wettbewerb des Schweizer Pavillons an der Expo in Hannover als Teil der Wettbewerbsabgabe einen kleinen Film zu machen. Wir haben lange diskutiert, wie wir das machen wollen. Am Schluss haben wir in einer Sägerei nur die gestapelten Bretter in Nahaufnahmen und gewisse Fluchten der Stapel gefilmt. Das fand ich einen guten Ansatz, um zu vermitteln, was Zumthor vorhatte. Es ging primär um die Physis, um das physische Erleben von Holz. 

Evelyn Steiner: Es ist sicher auch eine Frage der Bildkontrolle. Einen ganzen Film zu kontrollieren ist viel schwieriger als ein einzelnes Bild. Eine einzelne Fotografie besitzt auch eine höhere ikonische Wirkung und rasche Wiedererkennbarkeit. Zudem ist es leichter und schneller, ein Bild zu konsumieren, als einen ganzen Film. Dazu kommt, dass das privilegierte Medium der Diskussion über Architektur immer noch das Buch und die Zeitschrift ist, Architekten scheinen haptische Medien zu bevorzugen. Inwiefern befruchten sich denn deine Spielfilme und Architekturdokumentarfilme gegenseitig? 

Christoph Schaub: Die beiden Gattungen befruchten sich natürlich. Als Filmer muss man sich generell mit Raum auseinandersetzen. Beim Drehen von Spielfilmen ist ein Interesse an Raum Voraussetzung, denn man ist ja gezwungen, einen fiktionalen Raum für die Szenen zu schaffen und die Orientierung einer Spielfilmszene zu erarbeiten. Man definiert beispielsweise einen Raum durch die Entscheidung, wie die Figuren zueinander stehen, man schafft eine Orientierung, die sich komplexer gestaltet als im natürlichen Leben. Darüber hinaus vermittelt jeder Raum eine Stimmung, einen gewissen psychologischen oder emotionalen Ausdruck, und da ist auch eine Sensibilität oder eine Haltung gegenüber dem Raum gefragt, um die Absicht der Szenen zu verdeutlichen. 

Evelyn Steiner: Welche Rolle spielt die Architektur denn in deinen Spielfilmen? In deinem Film ‹Jeune Homme› (2006), in welchem sich ein 18-jähriger Deutschschweizer aus Protest gegen das biedere Elternhaus im Welschland als Au-pair bewirbt, scheinst du die Architektur gezielt einzusetzen, um den Wechsel des sozialen Milieus auszudrücken: Das enge, kleinbürgerliche Reiheneinfamilienhaus im Kanton Zürich steht der grosszügigen, lichtdurchfluteten Villa in der Westschweiz gegenüber. 

Christoph Schaub: Architektur und die Räume, die man den Figuren zuordnet, machen immer auch eine Aussage über die Figur, über ihren Hintergrund, ähnlich wie auch die Kleider, die Frisur oder die Sprechweise von Menschen. Da ist natürlich sehr viel Sorgfalt bei der Auswahl gefragt. Der junge Hauptdarsteller kommt aus einem kleinbürgerlichen Mief, einem beengten Häuschen mit wenig Licht, und wohnt dann nach seiner Flucht bei einer grossbürgerlichen Familie in einem wunderbaren modernen Haus aus den 60er Jahren am Genfersee. Das architektonische Umfeld gibt dieser Familie natürlich eine ganz andere Ausstrahlung, steht aber auch dafür, dass sich für die Hauptfigur natürlich ganz viel neu eröffnet. 

Evelyn Steiner: Im Sommersemester 2015 hast du zusammen mit dem ETH Studio Basel in Casablanca die Grenzen und Möglichkeiten des Mediums Film als Analyseinstrument für die Profession der Architektur erkundet. Kannst du uns kurz etwas über diese Zusammenarbeit erzählen, und was sind die Erkenntnisse? 

Christoph Schaub: Ich hatte das Vergnügen, mit dem Studio Basel zusammenzuarbeiten, mit den Professoren Marcel Meili und Roger Diener. Diese haben mich eingeladen, um zu erkunden, wie man Architektur, den städtischen Raum oder die Landschaft filmisch begreifen und darzustellen vermag. Auf der einen Seite gab es eine inhaltliche Annäherung, die Studenten forschten über die urbanen Transformationen in Casablanca. Auf der anderen Seite stand die Frage, wie man die Ergebnisse filmisch und bildlich darstellt. Ich hatte die Aufgabe, den Studenten zu vermitteln, wie man zum Beispiel ein Quartier, neue Wohnungstypen oder auch Bidonvilles in Casablanca filmen kann. Den Studenten wurden ganz konkrete Themen zugewiesen, und sie hatten dann zwei Aufgaben, die ich mit den Begriffen ‹Capturing the Site› und ‹Capturing the Dynamics› bezeichnen würde. Bei ‹Capturing the Site› ging es um Fragen der Raumerfassung und Raumdarstellung, bei ‹Capturing the Dynamics› primär um den Inhalt, um die Bewegung der Stadt. Es war eine extrem spannende und gute Zusammenarbeit mit den Professoren, den Assistenten und den Studenten. 

Kurzbio: 

Christoph Schaub, geboren 1958 in Zürich, brach sein Germanistikstudium zugunsten des Films ab. Er gründete mit anderen die Kinos RiffRaff, Kino Bourbaki sowie das Houdini in Zürich mit. Seine bekanntesten Spielfilme sind «Giulias Verschwinden», «Happy New Year»,«Jeune Homme» oder «Sternenberg». Ein wichtiger Teil seines Schaffens sind aber auch die Dokumentarfilme zu architektonischen und urbanistischen Themen. Seine Filme erhalten national wie international grosse Aufmerksamkeit und Anerkennung. 

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